Menschen wollen Veränderung, doch sie haben auch Angst davor
Schon im Flugzeug, doch noch auf der Erde überkommt mich Angst. Angst davor, das Falsche zu tun. Ich werde nach Asien fliegen, um die Dinge zu klären vor unserer endgültigen Entscheidung, unser Leben in der Schweiz aufzugeben und auf einer philippinischen Insel ein Tauchresort aufzubauen. Ich fliege hin, um mit dem Landeigentümer den Vertrag für das Resort abzuschließen, das wir in fünf Monaten übernehmen können, und um mit Bootsbauern und Behörden zu verhandeln. Von diesem ersten Besuch auf den Philippinen hängt ab, ob meine Frau und ich mit unserem zweijährigen Sohn das lang geplante Auswanderungsprojekt tatsächlich umsetzen. Oder eben nicht. Die Verantwortung lastet schwer in diesem Moment im Flugzeug. Mich überkommen Zweifel und Unsicherheit. Ist es recht, was ich zu tun im Begriff bin? Nur, weil ich mir damals, vor sieben Jahren, als mein Vater eine tödliche Diagnose erfahren hatte und fünf Wochen später starb, weil ich mir damals also schwor, von nun an auf meine innere Stimme zu hören? Meinen Träumen und Sehnsüchten zu folgen? Ja, das ist mein „Warum“. Und ich habe das Glück, eine Partnerin zu haben, die ähnlich denkt und für dieses Familien-Abenteuer genauso brennt. Doch was wird geschehen, wenn wir scheitern?
Dieses Erlebnis im Flugzeug ist heute elf Jahre her. Ich blieb sitzen, flog, landete auf den Philippinen, verhandelte dort, schloss Verträge ab und organisierte. Fünf Monate später bauten meine Frau und ich das Tauchresort auf. Und nach einigen erfolgreichen Jahren verkauften wir es wieder und kehrten zusammen mit unseren in- zwischen zwei Kindern zurück in die Schweiz. Hinter uns lagen intensive, auch lehrreiche Jahre und die Verwirklichung eines langgehegten Traums. Die Erfahrungen werden uns ein Leben lang begleiten.
Heute darf ich Menschen dabei unterstützen, ihren Weg zu beschreiten, um ihre Träume und Projekte anzugehen, ihre Herzenswünsche zu erfüllen. Ich habe u.a. gelernt, dass der erste Schritt viel Mut erfordert, weil er weg von vertrauten Pfaden führt. Ängste vor Risiken und Unsicherheit spielen dabei eine zentrale Rolle. Und ich habe gelernt, wie mit jedem Schritt die Angst kleiner wird.
Mut der Klienten
Unabhängig davon, ob unsere Coaching-Klienten wissen, wohin sie wollen: ihren ersten Schritt in die Veränderung gehen sie, wenn sie zu uns in die Praxis kommen. Sie rufen an, kontaktieren uns per E-Mail und buchen eine erste Coaching-Session. In der Regel wissen weder Klient noch Coach in diesem Moment, wo die Reise konkret hingehen wird. Für den Klienten mag einzig der Wunsch nach Veränderung sicher sein. Doch es braucht Mut für diesen ersten Schritt. Wenn der Klient dann in der Coaching-Praxis sitzt, hat er diesen Schritt tatsächlich getan. Ein Klient mittleren Alters, Manager eines international tätigen Unternehmens, kontaktiert mich mit dem Wunsch, mehr Mut, Sicherheit und Vertrauen in seiner aktuellen beruflichen Situation zu finden. Es stellt sich heraus, dass er sich seit Jahren nicht zutraut, alleine zu sein.
Angst vor dem Alleinesein
Zu unserem ersten Termin kommt er mit dem Auto in Begleitung von Frau und Tochter, die sich beide während der Sitzung in der Umgebung die Zeit vertreiben. Dies fällt mir zunächst nicht sonderlich auf, bekommt erst nach und nach eine Bedeutung. Mein Klient vertraut mir an, dass er seit Jahren auch in seinem Berufsalltag als Unternehmer mit mehreren Dutzend Mitarbeitern kompensatorische Fähigkeiten aufgebaut hat, um nicht alleine sein zu müssen. Zu Sitzungen auswärts lässt er sich von Mitarbeitern fahren, auf Geschäftsreisen und Flügen verlässt er sich auf Arbeitskollegen und Geschäftspartner. Während seiner Erzählung staunt er selbst über seine ausgeklügelten Strategien und darüber, wie er es geschafft hat, diese Angst außerhalb seiner Familie gekonnt zu kaschieren. Wir arbeiten mit wingwave, der kinesiologische O-Ring-Test führt uns an den Ursprung seiner Angst: zu jenem Moment, in dem er als junger Erwachsender die Nachricht vom plötzlichen Tod seines Vaters erhielt. Ein traumatisches Erlebnis, das sich über die Jahre zu einer Angst vor dem Alleinsein entwickelte. In drei weiteren Sitzungen arbeiten wir an seinen Themen Verlust, Trennung und Kontrolle und den damit verbundenen Emotionen. Dabei unterstützen uns u. a. wingwave, NLP-Formate und weitere mentale Methoden. Zu unserem vierten Termin erscheint mein Klient ohne Begleitung. Es habe ihn große Überwindung gekostet, doch er vermochte es, mit den erlernten Anker-Methoden sich selbst genügend Sicherheit zu schenken. Zum Beispiel hörte er auf der Herfahrt seinen Lieblingssong, mit dem er ein positives Erlebnis verbindet. Zusätzlich habe ihm die Vorstellung geholfen, dass sein Vater ihn während der Autofahrt begleite, damit er seine Angst überwinden kann. Dass dies gelingt, hat mein Klient seit Jahren nicht mehr für möglich gehalten.
Nun geht es darum genügend Mut aufzubauen, um auch allein im Wald zu joggen oder in der Stadt einzukaufen. Wir nutzen dazu Anker-Methoden sowie Trance-Modelle, Konzentrations- und Atemübungen. Beim nächsten Mal berichtet mein Klient strahlend über seine Erfolge und sein neugewonnenes Lebensgefühl. Er sei inzwischen alleine im Wald gewesen und habe sich dabei sogar gut und sicher gefühlt. Mein Klient hat festgestellt, dass er durch genaue Beobachtung und Überprüfung seiner eigenen Gedanken Herr und Meister über die Situation werden kann und so auch binnen Sekunden die latente Angst zu überwinden vermag. Rückblickend sagt er, das Schwierigste sei der erste Schritt gewesen: der erste Schritt ins Unbekannte, in die Veränderung. Es habe ihn viel Mut gekostet, diesen ersten Schritt zu unternehmen. Und die Techniken hätten ihm dazu die nötige Sicherheit vermittelt. Sein Eingeständnis der Angst vor dem Alleinsein und seine Erkenntnis, dass sie auch Ursache für seine unternehmerische Unsicherheit war, führte ihn zu mir. Aus seiner Angst erwuchs sein Mut, Schritt für Schritt neue Wege zu gehen. Alleine.
Kein Mut ohne Angst
Es gilt, mit dem verbreiteten Mythos aufräumen, dass Mut das Gegenteil von Angst sei. Die Angst (wir können auch sagen: die Unsicherheit, das Risiko) ist die Essenz, welche Mut überhaupt erst entstehen lässt. Ohne die Angst braucht es keinen Mut und Mut kann sich ohne Angst auch nicht entwickeln. Und es braucht noch etwas Anderes, die Angst zu überwinden: die Sehnsucht, das Ziel, die Vision oder den Traum. Der Stoiker Seneca sagte vor über 2000 Jahren: „Wenn die Sehnsucht größer als die Angst ist, wird Mut geboren.“ Angst gehört zu unserem Alltag. Die Frage ist, wie wir ihr begegnen, ob wir uns von ihr mobilisieren oder lähmen lassen. Angst hat die Aufgabe, uns zu beschützen. Wenn wir es schaffen, die Angst zu unserem Freund und Verbündeten zu erklären, kann sie uns helfen, den ersten Schritt zu tun auf einem neuen Weg.
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift «PRAXIS KOMMUNIKATION», Ausgabe 02/2018 (www.pkmagazin.de)
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